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Was ist ein Problem?

Das Hochwasser ist weg, die Flüsse und Bäche plätschern wieder idyllisch vor sich hin, die Bilder von überschwemmten Dörfern im Tullnerfeld sind aus den Nachrichten verschwunden. Die betroffenen Ortschaften wirken wieder aufgeräumt. Wer genau hinschaut, oder mit eigenen Augen gesehen hat, bis wohin das Wasser gestanden ist, der sieht die Auswirkungen. Die sperrangelweit geöffneten Fenster in den Erdgeschossen der Häuser, dahinter komplett leergeräumte, feuchte Räume. Die provisorisch eingerichteten Müllsammelplätze, wo sich kaputte Möbel und Hausrat zu einem brandgefährlichen Sammelsurium auftürmt. Die geschlossenen Türen von Geschäften, Lokalen und Betrieben, die sich neu erfinden müssen. Die traurigen Augen der Menschen, deren Häuser jetzt von Grund auf saniert werden müssen. Noch sind die Augenringe zu tief und die Erschöpfung der letzten Wochen zu groß, um die zaghaft aufblitzende Zuversicht wirklich durchzulassen.

Wer nur ein Stück weiter entfernt wohnt und bestenfalls die Bilder aus dem Fernsehen kennt, kann es sich nicht vorstellen. Es gibt einen Unterschied zwischen der rational gesteuerten Betroffenheit, die von Nachrichten über Naturkatastrophen irgendwo ausgelöst wird und der Betroffenheit, wenn man mitten im Katastrophengebiet lebt.

Betroffenheit einer Nicht-Betroffenen

Meine Familie und unser Haus, nicht weit vom Bahnhof Tullnerfeld entfernt, überstand dank 2m Höhenunterschied die Katastrophe wie auf einer kleinen Insel mitten in einem großen See nahezu unbeschadet. Wir haben gekämpft, blieben drei Nächte lang abwechselnd wach. Die Tauchpumpe lief dank vorhandenem Notstromaggregat durchgehend, um zu verhindern, dass das Wasser vom Sickerschacht direkt in den Keller gedrückt wird. Viel zu viel Regenwasser hatte sich auf dem Flachdach gesammelt und suchte sich einen Weg über den Anschluss der Solaranlage durch den Installationsschacht quer durchs Haus bis in den Keller. Mindestens stündlich gingen wir im strömenden Regen ums Haus, um weitere neuralgische Punkte unter Kontrolle zu halten. Entspannte Wochenenden gehen anders, aber letztendlich durften wir sehr erleichtert aufatmen.

Irgendwann in jenen Tagen als unaufhörlich starker Wind wasserfallartigen Schüttregen gegen die Fenster peitschte, seufzte unsere Tochter: „Ich glaube, ich muss das Wort „Problem“ neu definieren. Sie erhielt im Minutentakt Nachrichten von Schulfreundinnen, die in der ganzen Region verteilt wohnen und unterschiedlich stark betroffen waren. Die eine hatte ihr eben erworbenes Auto verloren, die andere saß bis in den ersten Stock im Wasser, die dritte rief sie an und brauchte Trost und Rat in Liebesangelegenheiten.

Probleme neu definiert

So wie sie ihrer Freundin mit Liebeskummer am liebsten entgegengebrüllt hätte: „Solange dein Keller trocken ist, ist alles gut!“, hätte ich das auch meinen Kunden in anderen Bundesländern gesagt – als nach einigen Tagen der Internetanschluss wieder funktionierte, und ich die mit ToDos überquellende Mailbox öffnete. Habe ich natürlich nicht. Ich habe nur bemerkt, wieviel Konzentration und Kraft es mich kostete, es eben nicht zu tun.

Jetzt vier Wochen „danach“ ist unsere familieninterne Transportlogistik wieder stabil. Ohne der gewohnten Bahnverbindung in alle Richtungen brauchen wir plötzlich drei Autos, um unseren Verpflichtungen unabhängig voneinander nachkommen zu können. Sowohl ökonomisch als auch ökologisch verrückt – aber unser Haus steht noch, also ist ja alles gut, oder?

Mittlerweile kümmere ich mich wieder gerne um die kleinen und ganz kleinen Probleme meiner Kunden. Weil es mir jene Sicherheit zurückgibt, die durcheinandergebeutelt wurde. Da weiß ich, was ich tue, ich kann etwas lösen, etwas erledigen, etwas voranbringen. Und ich kann damit in eine andere Welt entfliehen.

Jedes Mal, wenn ich durch mein Dorf spaziere, mit Nachbarn plaudere oder mit dem Auto im Tullnerfeld unterwegs bin, werde ich wieder daran erinnert. Mit dem Lösen der kleinen und ganz kleinen Probleme werden wir nichts ändern. Spätestens seit man die Wörter „Hangrutschung“ und „Tullnerfeld“ tatsächlich im selben Satz verwenden muss, ist klar: Wir alle haben wirklich ein Problem.

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(fotocredit: NÖN, online-Ausgabe 17.9.2024)