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Wie man richtig chillt

Seit vielen Jahren ziehe ich mich jeden Sommer mit meiner Familie vier Tage auf eine kleine Almhütte in 1700 m Seehöhe zurück. Kein Strom, kein WLAN, kein warmes Wasser, ja nicht einmal nennenswerter Handyempfang.

Warum wir das tun? Weil wir jedes Mal aufs Neue die Erfahrung machen, dass diese wenigen Tage wirken, als würde in unseren Köpfen ein „Reset“-Knopf gedrückt werden. Gerade heuer sehnten wir diesen Tagen entgegen wie selten zuvor und auch diesmal kehren wir tiefenentspannt und voller neuer Energie in unser normales Leben zurück.

Man braucht weniger als man glaubt

Wir verreisen sehr gerne, gerne auch weit weg. Diese Reisen sind wichtig, erlebnisreich und schön. Aber jedes Jahr werden wir darin bestätigt, dass es für absolute Entspannung und Erholung nur eines braucht: das Nichtvorhandensein von Etwas.

Kaum haben wir das letzte Kuhgatter vor der Hütte hinter uns geschlossen, sind wir mit den einfachsten Dingen beschäftigt. Holz aus der Scheune holen, um einzuheizen. Wasser vom Brunnen holen und es erwärmen. Kochen, Essen, Abwaschen. Die eingespielte familiäre Arbeitsaufteilung erlaubt es uns noch dazu, diese Dinge ohne jede Frage oder Diskussion zu tun. Und dieser Fokus auf das absolut Essentielle macht mit uns vor allem eines:

Wir hören auf zu denken.

Wer kennt das nicht – das ständige Gewusel in den eigenen Gehirnwindungen von Verpflichtungen, Sorgen, Fragestellungen, Plänen? Die ständige Alarmbereitschaft, um das nächste Email, den nächsten Anruf zu beantworten. Das ständige Gefühl an alles denken zu müssen, um ja nichts Wichtiges zu vergessen.

Auf der Alm gilt: was wir im Tal lassen, gibt es nicht. Das gilt für das vergessene Backpulver genauso wie für alle offenen ToDos.

Unsere Tochter war nun bereits das 16. Jahr mit. Beim ersten Mal krabbelte sie über die Almwiese, im zweiten Jahr ahmte sie in der Wandertrage sitzend die Muh-Laute der Kühe nach, mit knapp drei Jahren marschierte sie steil hinauf durch den Wald.

In den vergangenen Jahren stresste sie der Status „offline“ zusehends. Das Gefühl zu vermitteln, sie sei tot – oder noch schlimmer: nicht Teil ihrer Community – wuchs mit jeder Stunde, in der sie nicht mit ihren Freunden kommunizieren konnte. Ein Stressgefühl, das auch im Strudel des Berufsalltags leicht entstehen kann. Man meint mitunter, Welten würden zusammenbrechen, würde man seine Nachrichten einige Tage lang nicht lesen.

Chillen ohne Netflix & Co

Heuer sprach sie nach zwei Tagen Almleben das aus, was wir ihr mit keinem elterlichen Ratschlag besser beibringen hätten können. „Mama, ich habe jetzt kapiert, wie man richtig chillt. Ich lege mich in die Wiese und schaue den Wolken zu!“ Spätabends baute sie diese Methode aus und legte sich in Decken eingewickelt vor die Hütte und versank in die fernab von städtischem Licht gut sichtbare Milchstraße.

In diesem Sinne: Gerade nach einer intensiven und oftmals belastenden Zeit voller Krisenmanagement und Online-Meeting-Marathons. Schalten Sie ab, gehen Sie offline, seien Sie mal nicht erreichbar. Einfach nur Sein genügt vollkommen. Danach können Sie wieder getrost weitermachen wie bisher – mit dem Unterschied, dass Sie die Kraft dafür haben.