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Management by Gardening

„Hilfe, wir finden kein Personal!“ ist derzeit der meistgehörte Satz unter HR-ManagerInnen quer durch alle Branchen. Wenn ich gefragt werde, was man tun kann, könnte ich selbstverständlich Lösungen aus den Schubladen „Employer Branding“, „Gehaltsstruktur“ oder „Optimierung Recruitingprozess“ anbieten. Damit jetzt zu starten ist möglich, oft auch sinnvoll, die Wirkung daraus ist nicht kurzfristig zu erwarten. Ich bemühe daher gerne ein anderes Bild:

Der Apfelbaum in unserem Garten trug letztes Jahr unglaublich viele Früchte, die Äste bogen sich bis zum Boden, kistenweise stapelten sich die Äpfel in der kühlen Abstellkammer. Bis tief in den Winter hinein verarbeiteten wir Äpfel zu Mus und Kuchen. Uns ging es mit den Äpfeln genauso wie HR-ManagerInnen in längst vergangenen Zeiten, als darum gekämpft wurde, aus Hunderten von Bewerbungen möglichst effizient den/ die eine/n richtige/n auszuwählen. Wenn mal eine Besetzung nicht klappte, nahm man den/die nächste, man schöpfte aus dem Vollen.

Ist da jemand?

Heuer bietet mein Apfelbaum das gleiche Bild wie der Bewerbungseingang in so gut wie allen Unternehmen. Da ist nix. Niente. „Schau!“, sagte mein Mann, „Da zwischen den Ästen ganz oben, ich glaube, da ist was!“ Ungefähr so reagieren heute HR-ManagerInnen, wenn zumindest ein Vorstellungsgespräch zustande gekommen ist. „Ich glaube, wir haben ihn/sie endlich gefunden“ rufen sie erleichtert, nur um wenige Tage später die Information verdauen zu müssen, dass sich der/die Bewerber/in für ein anderes Unternehmen entschieden hat.

Der Druck steigt, offene Stellen bleiben lange unbesetzt, die bestehenden MitarbeiterInnen müssen mehr arbeiten, um die Lücken zu füllen, brennen aus – und gehen. Schließlich winken (vermeintlich) attraktivere Jobangebote um die Ecke. Unternehmensleitungen werden unrund, der Druck auf die HR-Abteilungen steigt weiter. „Jetzt tut doch endlich irgendwas!“ wird gerufen, HR-ManagerInnen verzweifeln.

Überraschenderweise sind auch HR-ManagerInnen nur Menschen und können keine Wunder bewirken (abgesehen davon, dass sie selbst auch rar geworden sind und daher oft alleine den Job von zweien machen). Ich könnte nun meinen Apfelbaum schütteln und anschreien, er möge doch endlich bitte Äpfel produzieren. Das Ergebnis wäre, dass ich noch immer keinen Apfelkuchen backen könnte, nur mit dem Zusatzeffekt, dass die Nachbarn mich für verrückt halten würden.

Ich könnte natürlich das Problem mit den fehlenden Äpfeln auch so lösen, wie es viele Unternehmen derzeit bei der Personalsuche versuchen: Ich kaufe sie teuer ein, vielleicht sogar in minderer Qualität, vielleicht nehme ich sie auf erpresserische Art sogar anderen weg. Der Kampf um die besten Köpfe hat einen neuen Höhepunkt erreicht und gestaltet sich weder schön noch zufriedenstellend und kostet viele Opfer.

Retour aus der Sackgasse

Stattdessen könnte man auch endlich beginnen sich umzudrehen und einen anderen Weg einzuschlagen. Einen ganz anderen. Nicht mehr versuchen noch mehr Energie in die immer gleichen Lösungen zu stecken.

Auf der anderen Seite meines Gartens wachsen seit vielen Jahren mehrere Himbeersträucher. Vereinzelt produzierten sie bisher Früchte, gerade mal so viel, dass man im Vorbeigehen ein paar naschen konnte, mehr nicht. Heuer hingegen haben wir so viele Himbeeren wie noch nie, mehr als wir essen können, die Tiefkühllade ist voll.

Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht, das gilt auch im Personalmanagement. Zulassen und akzeptieren, was ist. Und sehen, was möglich ist. Voller Fokus auf das, was geht. Himbeermarmelade statt Apfelkuchen. Vielleicht sogar manches Geschäftsfeld redimensionieren und dafür profitabel und qualitätsvoll bleiben. Die bestehenden MitarbeiterInnen hegen und pflegen und darauf achten, dass sie bleiben. MitarbeiterInnen nicht zu vergraulen und zu demotivieren ist schon eine großartige Führungsleistung. Für Organisationen ist der derzeitige Personalmangel auch eine Chance, neue MitarbeiterInnengruppen zuzulassen, die bislang sehr rasch im Bewerbungsprozess abgeschrieben wurden: Branchenfremde BewerberInnen, ältere Menschen, MitarbeiterInnen mit Einschränkungen, Potentiell Schwangere, Alleinerziehende. Dafür braucht es kein aufwändiges Diversity-Programm.

Und lassen Sie sich als HR-ManagerIn nicht verrückt machen, Sie können nicht etwaige Versäumnisse binnen Wochen und Monaten ausgleichen und im Hamsterrad laufend versuchen, die Welt zu retten. Passen Sie auf sich auf, Ihre Kräfte, Ihre Kreativität und Ihre Energie wird dringender gebraucht als je zuvor. Um das zu erhalten, lohnt es sich zu reflektieren und Ihre Organisation als Garten zu betrachten. Nicht immer geht die Saat wie geplant auf, dafür entstehen an anderen Ecken schöne Pflanzen, wo man gar nicht damit gerechnet hat. Mit Sicherheit findet sich auch bei Ihnen eine Schüssel voll fruchtiger Himbeeren. Gerne unterstütze ich Sie bei der Suche!